Die Mammutaufgabe, Kulturgüter digital zugänglich zu machen, rückt mit KI erstmalig in greifbare Nähe

Die Mammutaufgabe, Kulturgüter digital zugänglich zu machen, rückt mit KI erstmalig in greifbare Nähe

Interview mit Frank Bayerl, Geschäftsführer fröbus kulturerbe.digital

Wird Künstliche Intelligenz die Digitalisierung von Kulturgütern vereinfachen bzw. optimieren?

Frank Bayerl: Wie in eigentlich allen Branchen kann auch bei der Digitalisierung von Kulturgütern Künstliche Intelligenz (KI) eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, Prozesse effizienter zu gestalten. Viele Kulturinstitutionen sind mit der Digitalisierung und der digitalen Zugänglichkeit überfordert. Es gibt in den meisten Häusern weder die personellen noch die finanziellen Ressourcen, um die Erfassung, Digitalisierung, Tiefenrecherche kompletter Sammlungen bzw. eine Anreicherung mit Metadaten pro Objekt durchzuführen. Daher ist es zwangsläufig, dass KI-Tools genutzt werden. Man kann sagen: Die Mammutaufgabe bedeutsames Kulturerbe innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne digital zu erfassen und auch nutzbar zu machen, rückt mit KI erstmalig in greifbare Nähe.

Was wären konkrete Anwendungen?

Frank Bayerl: KI wird in alle Bereiche eingreifen. Das ist heute schon merkbar. In Bezug auf Verbesserung der Prozesse der Datenverwaltung, der Datenanreicherung – etwa der Digitalen Masterdatei – und selbstverständlich auch in Bezug auf die Optimierung von Bildgebungsverfahren und Bildbearbeitung. Ein Beispiel für eine sehr naheliegende Anwendung: Künstliche Intelligenz kann bei der virtuellen Rekonstruktion und Restaurierung beschädigter Gemälde oder Kulturgüter bei der Textur- und Formrekonstruktion helfen. In diesem Sinne ist KI bei der Rekonstruktion der einstmals abgeschnittenen Ränder von Rembrandts „Die Nachtwache“ im Einsatz. Das haben wir uns kürzlich erst im Rijksmuseum in Amsterdam angeschaut. Das ist beeindruckend.  (Anm. d. red: siehe Link unten)

Bezogen auf das Beispiel: mit welcher Art von Daten wir die KI gefüttert?

Frank Bayerl: Die KI wird gefüttert mit den Daten ähnlicher Werke oder Objekte aus der Zeit, der jeweiligen Werkstatt und vor allem aus dem Œuvre des jeweiligen Künstlers. Voraussetzung ist dabei aber immer, dass die Quellen, aus denen die KI gefüttert wird, belastbar sind und die Daten damit nachvollziehbar. Nur dann kann eine KI als Hilfsmittel seriös genutzt werden.

Sehen Sie den Einsatz von KI als eine Chance?

Frank Bayerl: Auf jeden Fall. Bei unserer Arbeit bei fröbus Kulturerbe digital arbeiten wir immer wieder unter Laborbedingungen, um unseren Projektpartnern aus dem Kulturbereich den neuesten technischen Stand und die besten Prozesse bieten zu können. Das werden wir auch weiterhin tun, deshalb prüfen wir sehr genau, wo der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für unsere Arbeit und die Kulturprojekte einen Benefit bringen kann.

Kann man dafür die bereits vorhandenen KI-Angebote bereits nutzen?

Frank Bayerl: Die Datengrundlage muss stimmen. Viele kulturelle Institutionen und Projekte haben über die Standards hinaus besondere Ansprüche an die KI und sehr spezifische Anforderungen an die Ergebnisse. Da kann man nicht mit Standard-Tools arbeiten. In dem Thema KI steckt noch viel Entwicklungsleistung drin.

Wie kann sichergestellt werden, dass die Qualität nicht leidet?

Frank Bayerl: Wir sind Perfektionisten. KI kann helfen, klar definierte Aufgaben zu übernehmen – mehr nicht. Aktuell und auf absehbare Zeit muss immer eine manuelle Überprüfung und Kontrolle erfolgen. Das Vertrauen in Künstliche Intelligenz wird nur peu à peu wachsen können. Wir stellen fest, dass es bei den Kunden und Auftraggebern viel Skepsis in Bezug auf die Verwendung von KI gibt. Eine enge Zusammenarbeit zwischen KI-Experten und Fachleuten aus den Institutionen wird aus unserer Sicht unerlässlich sein. Es gibt einen hohen Beratungs- und Abstimmungsbedarf.

Was ist der Benefit für die Verantwortlichen und die Mitarbeiter in Museen, Bibliotheken und Archiven?

Frank Bayerl: KI bietet im Zusammenhang bei Digitalisierung von Kulturgütern viele Vorteile, darunter Effizienzsteigerung, schnellere Analyse und automatisierte Prozesse. Das wird einen großen Unterschied machen. Ich will das kurz verdeutlichen: Wir hören immer wieder, dass bei den oftmals sehr langwierigen Prozessen der digitalen Erfassung und Digitalisierung kompletter Sammlungen personelle Ressourcen regelrecht verschlissen werden. Denn natürlich hat niemand, der ein Studium der Geschichte, der Archäologie oder Kunstgeschichte absolviert hat, auf Dauer Lust, repetitive Recherchen zu übernehmen. Experten sollen die Zeit haben, Expertenarbeit zu machen. Genau hier kann Künstliche Intelligenz einen erheblichen Benefit bringen.

Vielen Dank für das Gespräch

Interessanter Link zu dem Thema:

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/kunst-kuenstliche-intelligenz-rekonstruiert-rembrandts-die-nachtwache

Einsatzbereiche für KI-Tools bei der Digitalisierung von historischer Kunst und Kulturgegenständen

Metadatenanreicherung: Dabei werden die zu der jeweiligen Datei gehörigen Metadaten in Bezug auf Fundort, Epoche und möglicherweise damit in Verbindung stehende weitere Werke sowie viele weitere Informationen digital abgelegt. So kann das Artefakt besser eingeordnet werden. Künstliche Intelligenz kann bei der Informationssuche zur Anreicherung der Daten wertvolle Hilfe leisten.

Automatische Bilderkennung: KI-Algorithmen können verwendet werden, um Objekte in digitalisierten Bildern automatisch zu erkennen und zu klassifizieren. Dies ermöglicht eine automatische Zuordnung von Schlagwörtern, Kategorien oder Attributen basierend auf den erkannten Objekten.

Automatisierte Bildanalyse: KI-Algorithmen können eingesetzt werden, um Bilder von Kulturgütern automatisch zu analysieren. Sie können beispielsweise Objekte erkennen, Kategorien zuweisen, Schriftarten lesen oder Beschädigungen identifizieren. Dies beschleunigt den Prozess der Beschreibung und Katalogisierung der digitalisierten Objekte erheblich.

Bildverbesserung: Eingeschränkt kann die KI bei der Verbesserung der Qualität von Digitalisaten helfen. Durch den Einsatz von Algorithmen zur Rauschunterdrückung, Schärfung und Farbkorrektur können Details und Texturen in den Bildern verbessert werden, um eine bessere visuelle Darstellung der Kulturgüter zu ermöglichen. Dies ist aber nur in klaren Grenzen sinnvoll, denn bei jeder Digitalisierung im Bereich Kulturerbe sollte immer die möglichst getreue Abbildung des bestehenden Originals verfolgt werden und nicht eine durch die KI interpretierte Bildqualität.

Objekterkennung und -klassifizierung: KI kann zur automatisierten Erkennung und Klassifizierung von Objekten in digitalen Bildern eingesetzt werden. Dies kann dabei helfen, den Bestand an Kulturgütern zu organisieren und zu durchsuchen, indem automatisch nach bestimmten Kategorien, Motiven oder Stilen gesucht wird.

Übersetzung und Transkription: KI kann bei der automatisierten Übersetzung von Texten in verschiedenen Sprachen helfen. Dies ist besonders nützlich, wenn es darum geht, Texte auf historischen Dokumenten oder Inschriften zu digitalisieren und zu verstehen. Darüber hinaus können KI-Algorithmen zur automatischen Transkription von handschriftlichen Dokumenten eingesetzt werden, um den Prozess der Texterkennung zu beschleunigen.

Virtuelle Rekonstruktion und Restaurierung: KI kann bei der virtuellen Rekonstruktion und Restaurierung beschädigter Kulturgüter helfen. Durch den Einsatz von Algorithmen zur Textur- und Formrekonstruktion können verlorene Teile eines Objekts virtuell ergänzt werden, um eine vollständige Darstellung wiederherzustellen. Dies ermöglicht den Betrachtern, das Objekt in seinem ursprünglichen Zustand zu erleben.

Texterkennung (OCR): Optische Zeichenerkennung (OCR) ist eine Technologie, die gedruckten oder handgeschriebenen Text in digitalen Bildern erkennen und extrahieren kann. OCR kann dabei helfen, Textinhalte auf historischen Dokumenten oder Beschriftungen von Objekten zu erfassen und in die Metadaten einzufügen. Hier kann eine KI-Unterstützung zusätzlichen Benefit bringen.

In Bezug auf Vermittlung / Outreach:

Personalisierte Erfahrungen: KI kann auch zur Personalisierung von digitalen Museumserfahrungen eingesetzt werden. Durch die Analyse von Nutzerdaten und Vorlieben kann KI maßgeschneiderte Empfehlungen und interaktive Elemente bereitstellen, um das Engagement der Besucher zu steigern und ein individuelles Erlebnis zu bieten.

Empfehlungssysteme: KI-basierte Empfehlungsalgorithmen können verwendet werden, um Benutzern automatisch ähnliche Objekte, verwandte Inhalte oder thematisch passende Ressourcen vorzuschlagen. Diese Empfehlungen können auf den vorhandenen Metadaten und dem Nutzerverhalten basieren.

 

Foto-Credits:
Interviewbild und Bild Datenanreicherung: fröbus
Foto Die Nachtwache im Rijksmuseum: Istock