Interview mit Manuel Rossner, Digital Artist Berlin

Kulturerbe Digital I Newfloat 2023
Kulturerbe Digital I Manuel Rossner

Manuel Rossner

Spannender Perspektivwechsel:

ein Blick auf rein digitale Kunst der Gegenwart

Interview mit Manuel Rossner, einem der aktuell interessantesten Künstler für rein digitale Kunst in Deutschland. Für uns ein ungewöhnliches Gespräch, da wir uns bei unserer Arbeit bei kulturerbe digital vor allem mit historischen Werken oder Objekten und deren Digitalisierung beschäftigen. Wir fragen uns: Wie wird sich die zunehmende Digitalisierung Zeitgenössischer Kunst und die immerwährende Neuausrichtung Digitaler Kunst in den nächsten Jahren auf unser allgemeines Verständnis von Kunst und Kultur auswirken? Und was bedeutet das letztendlich für uns in Bezug auf die Digitalisierung von Kulturerbe?

Über fröbus kulturerbe digital

Wir von fröbus kulturerbe digital widmen uns der Digitalisierung von Kulturgut sowie der Entwicklung unterschiedlicher Formate für die Veröffentlichung von digitalen Sammlungen und einzelner Digitalisate. Damit geht die Frage einher: Wie können wir das kulturelle Erbe zurückliegender Epochen, aber auch unserer eigenen Zeit für die Zukunft erhalten? Wir digitalisieren kulturelles Erbe mit Hilfe unterschiedlichen Verfahren in 2D oder 3D – je nach Projektanforderung – und erstellen außerdem Replikate für Museen und Ausstellungen. Zur Unterstützung unserer Kunden wie Museen, Archive, Sammlungen oder Bibliotheken bieten wir außerdem Datenbanklösungen und Management-Tools an, um digitale Kulturgüter zu verwalten und auf unterschiedlichen Plattformen zu veröffentlichen.

Über Manuel Rossner

 Manuel Rossner wurde 1989 geboren, er lebt und arbeitet heute als digitaler Künstler in Berlin. Nach seinem Studium der Kunst in Offenbach, Paris und Shanghai hat er sich seit 2012 darauf spezialisiert, digitale Räume und virtuelle Welten zu gestalten. Durch seine Arbeiten erforscht er die Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf Gesellschaft und Kunst. 2021 war er Teil der Ausstellung „Out of Space“ in der Hamburger Kunsthalle, wo er die spezifische VR-Installation „How Did We Get Here?“ beisteuerte – ein Kunstwerk, das als erstes NFT in die ständige Sammlung des Museums aufgenommen wurde. Zudem schuf Rossner für das Grand Palais Éphemère in Paris das Werk „Where to Go from Here?“, das die Zukunft der Technologie hinterfragt. Rossners Arbeiten zeichnen sich durch ihre klare Ästhetik aus und verkörpern das digitale Zeitalter, in dem Geschwindigkeit, Flexibilität und Spielcharakter im Vordergrund stehen.

Innerhalb von wenigen Jahren hat er als Künstler erreicht, dass seine virtuellen Skulpturen Bestandteil etablierter musealer Sammlungen werden. Aktuell kuratiert er eigene Ausstellungen in seinem virtuellen Ausstellungsraum NewFloat. Das Projekt kann in Virtual Reality, über den Browser oder vom Smartphone aus besucht werden. Es soll die Bedeutung von digitalen Kunsträumen für eine digitalisierte Gesellschaft verdeutlichen. Er selbst betitelt es als „The Art Experience for the 21st Century. Der Spiegel nennt es: Galerie mit Gaming Gefühl. Wir sind gespannt.

Redaktion kulturerbe digital:

Manuel, du hast bereits eine faszinierende Reise durch die gegenwärtige Kunstwelt hinter dir. Welche Beobachtung hast du in den letzten Jahren gemacht?

Manuel Rossner:

“Software is eating the world”, sagte ein Silicon Valley Unternehmer* einmal (*Marc Andreessen, Netscape). Besonders in der Kunstwelt hat diese Aussicht vielseitige Folgen. Das Digitale als Material oder Medium kommt gerade erst in der etablierten Kunstwelt an. Bis auf wenige Ausnahmen spielte digitale Kunst bisher kaum eine Rolle. Es ist längst überfällig, dass diese Art der Kunst ernst genommen wird. Wie kein anderes Medium reflektiert digitale Kunst, wie sich unsere Lebenserfahrung durch Technologie verändert.

Wie bist du auf die Idee gekommen 3D-Visualisierung, Virtual Reality, diverse digitale Special Effects und Avatare in deiner Kunst, aber auch in deinem digitalen Museumsprojekt „New Float“ zu nutzen?

Manuel Rossner:

Ich bin mit Games und 3D-Software aufgewachsen, daher war es für mich das naheliegendste Medium. Die physische Erfahrung eines analogen Kunstwerkes kann dadurch zwar nicht ersetzt werden, aber ein analoges Kunstwerk kann genauso wenig eine digitale Erfahrung nachahmen. Statt den didaktischen und räumlichen Möglichkeiten, die der digitale Raum bietet, ist mir als Künstler die Grenzenlosigkeit digitaler Kunst am wichtigsten.

New Float, Outside view, 2022

„New Float“ ist ein faszinierendes Unterfangen – ein digitales Museum, das von überall aus besucht werden kann. Welche neuen Aspekte bringt der Digitale Raum?

Manuel Rossner:

New Float zeigt, wie umfangreich digitaler Raum die Erwartungen an ein analoges Gebäude erfüllen kann. Regelmäßig bekomme ich Anrufe, weil ich New Float neben der Neuen Nationalgalerie auf Google Maps eingetragen habe. Obwohl klar beschrieben ist, dass man uns nur online besuchen kann. Besonders spannend finde ich, wie neue Kunst mit dem digitalen Raum umgeht. Viele Arbeiten in meiner Sammlung sind Algorithmen, die quasi in New Float ausgeführt werden können. Bei meiner Arbeit I WROTE THIS SCRIPT steht man ein Stück Programmiercode, das ChatGPT für mich geschrieben hat. Diese neuen Tools und die allumfassende Zugänglichkeit der Arbeiten sind für mich die Vorboten einer neuen Kunstwelt.

Welchen Stellenwert hat rein digitale Kunst innerhalb des Kunstmarktes aktuell und wie schätzt Du die Entwicklung in den kommenden Jahren ein?

Manuel Rossner:

Der Kunstmarkt hat die Entwicklung Digitaler Kunst größtenteils verschlafen. Computerkunst war – und ist – immer noch eine Randerscheinung. Mit der Explosion von NFTs hat sich gezeigt, dass es definitiv Interesse an digitalen Arbeiten gibt. Auch nachdem ein Großteil der Spekulanten ausgestiegen ist, besteht ein Markt für digitale Kunst. Es wird sich zeigen, ob die Kunstwelt diese Entwicklung widerspiegeln kann. Die etablierte Kunstwelt ist selbst voller Widersprüche und Probleme. Vielleicht entsteht gerade eine neue Welt, irgendwo zwischen AAA-Game und Film?

Wie werden sich Kategorien wie „Original“ oder „Replikat“ deiner Meinung nach durch rein digitale Kunst und digitalisierte Kunst verändern?

Manuel Rossner:

Bei NFTs hat sich gezeigt: Im Digitalen ist nicht Seltenheit der entscheidende Maßstab, sondern Sichtbarkeit. Obwohl das verkaufte Objekt am Ende limitiert ist, steigt der Wert, wenn das Bild oft kopiert wird. Diese “Memeification” kennt man schon von der Mona Lisa.

Ist das physische Bild überhaupt relevant? Wie relevant ist es, wenn wir es irgendwann bis auf das einzelne Atom genau reproduzieren können? Digitale Kunst geht über diesen klassischen Begriff der Aura und der technischen Reproduzierbarkeit, im Sinne von Walter Benjamin, hinaus. Sie kennt keinen anderen Zustand und spielt mit ihren numerischen Eigenschaften.

Wenn für analoge und historische Kunst zunehmend digitale Zwillinge zur Verfügung stehen, könnte sich daraus eine neue Art der Gleichzeitigkeit ergeben? Also der gegenseitigen Bezugnahme bzw. des aufeinander Referenzierens von analoger und digitaler Kunst?  

Manuel Rossner:

Natürlich kann sich Kunst an ihrem Verhältnis zum physischen Objekt abarbeiten. An meiner Arbeit HOW DID WE GET HERE? für die Hamburger Kunsthalle sieht man das zum Beispiel. Meine digitale Malerei durchbricht das modernistische Gebäude des Ausstellungsortes. Ich möchte die Parallelität von Realitäten im Digitalen zeigen. Virtual Reality wird immer überzeugender, es ist eine Frage der Zeit, bis wir den digitalen und den physischen Raum nicht mehr unterscheiden können.

Kannst du uns erzählen, wie die Integration von Virtual Reality (VR)- und Augmented Reality (AR)-Technologien in „New Float“ genutzt wurde, um immersive Erfahrungen zu schaffen? Wie fügen diese Technologien der Kunstwahrnehmung eine neue Dimension hinzu?

Manuel Rossner:

Viele der Arbeiten, die ich in New Float zeige, sind JPG oder Videos. Sie könnten räumlich nicht auf diese Weise erfahren werden. Besonders beeindruckend sind aber digitale dreidimensionale Objekte. Sie bekommen durch den digitalen Raum erst ihre Präsenz. Besonders deutlich wird dies in der Arbeit HYUNDAI H200 von Sofiia Privet: Sie hat in Kyiv ein Auto gescannt, das 2022 im Krieg zerstört wurde. Dadurch, dass man in VR direkt vor der Arbeit steht und die Einschusslöcher sieht, hat man eine besondere Erfahrung und Verbindung zu den schrecklichen Geschehnissen im Osten Europas. Link

Künstliche Intelligenz verändert viele Bereiche der Gesellschaft und Kultur. Wie verändert sie aus deiner Sicht die Art und Weise, wie wir Kultur oder den Museumsraum wahrnehmen? Welches Potenzial siehst du in der KI, um das Schaffen, das Kuratieren und das Erleben von Kunst zu verbessern?

Manuel Rossner:

KI ist für mich eine andere Art, zu programmieren. Im Gegensatz zu klassischen Algorithmen müssen Entscheidungen nicht mehr eindeutig “True” und “False” sein. Basierend auf Trainingsdaten reicht auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, um eine Entscheidung zu treffen. Das revolutioniert den Umgang mit Computern auf allen Ebenen. Erlebnisse werden viel persönlicher. Es reicht ein Suchbegriff, um eine hochklassige Ausstellung zu einem Thema oder Künstler zu kuratieren, wenn die Qualität der Daten stimmt. Kombiniert mit digitalen Räumen entsteht ein begehbares, intelligentes Google für alle Fragen der Menschheit.

Wenn die Datenlage allerdings nicht stimmt, kann im schlimmsten Fall eine falsche Wahrheit entstehen.

Welchen Rat würdest du angesichts deiner umfangreichen Erfahrung Künstler:innen geben, die sich gerade erst in die digitale Kunst wagen, sei es durch KI, VR/AR, 3D-Scanning oder andere Technologien?

Manuel Rossner:

Lass Dich nicht von der Technologie überwältigen! Lerne, was für Dich wichtig ist und finde Deinen Weg. Statt mich von neuen Technologien unter Druck setzen zu lassen, sehe ich es nun andersrum: Die Industrie entwickelt neue Tools, die uns mehr Möglichkeiten bieten.

Und was würdest du Museen, Sammlungen und Galerien empfehlen?

Manuel Rossner:

Es geht nicht darum, das Digitale zu verwenden wie das Analoge. Technologie ist ein Experiment. Spätestens seit Facebook Twitter nutzen musste, um der Welt mitzuteilen, dass ihre Software gerade nicht funktioniert, weiß ich: Es nutzt nichts, perfektionistisch zu sein. Digitale Projekte sind keine historischen Objekte, die fertig sind und dann kaputt gehen können. Man startet und verbessert dann immer weiter.

Schließlich bringt die Digitalisierung der Kunst auch neue Formen der Interaktion zwischen dem Künstler und dem Publikum mit sich: Wie wird sich dies deiner Meinung nach in Zukunft auf die Beziehung zwischen Künstler:innen, Publikum und Kurator:innen auswirken?

Manuel Rossner:

Der Hype um NFTs hat mir gezeigt, dass viele Menschen gerne mit Kunst und Künstlern interagieren. Das Sammeln, Ausstellen, aber auch das Verkaufen und gewissermaßen sogar das Spekulieren sind für mich die aktivste Art mit einer Malerei oder einer Datei umzugehen. Wie könnten diese Interaktionen weiterentwickelt werden? Sind Games, in denen die Spieler oft tausende Stunden verbringen, einfach schon einen Schritt weiter? Und wo gibt es eine Schnittmenge zwischen Games und zeitgenössischer Kunst?

Vielen Dank für das Gespräch!

Credits alle Photos: Studio Manuel Rossner