Warum ist es wichtig, Globen als bedeutende kulturelle und historische Artefakte zu digitalisieren?

Kulturerbe Digital I Globus digitalisieren
Kulturerbe Digital I Digitalisierung von Globen

 

Herr Mag. Jan Mokre, Direktor der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek sowie des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek

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Ein Interview mit Mag. Jan Mokre, Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums in Wien, Österreich

Wir freuen uns, dass der Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek und gleichzeitiger Vizepräsident der Internationalen Coronelli-Gesellschaft für Globenkunde, Herr Mag. Mokre, sich für uns Zeit genommen hat. Mit ihm sprachen wir im Juni dieses Jahres über das wichtige und aktuelle Thema der Digitalisierung im Kulturbereich, mit besonderem Fokus auf die historische sowie museumspädagogische Bedeutung der Digitalisierung von Globen für künftige Generationen. Wir von Fröbus Kulturerbe Digital beschäftigen uns genau mit solchen Fragen. Wir digitalisieren, inventarisieren und bewahren kulturelles Erbe mittels innovativer 3D- und 2D- Digitalisierungsverfahren. So haben wir bereits zwei Coronelli-Globen aus der Stadtbibliothek in Trier sowie einen Schöner-Globus, der in Weimar ausgestellt ist, in 3D digitalisiert.

Froebus: Herr Mag. Mokre, wie schön, dass Sie sich Zeit nehmen. Können Sie uns bitte einen kurzen Überblick über die Geschichte der Coronelli-Gesellschaft und des Globenmuseums in Wien geben?

Mag. Mokre: Das Globenmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek und die Internationale Coronelli-Gesellschaft für Globenkunde sind institutionell getrennt. Die an der Österreichischen Nationalbibliothek befindlichen Globen wurden 1956 im Rahmen der Kartensammlung als Globenmuseum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dabei handelte es sich vorerst um eine zur Schau gestellte Sammlung. Die Entwicklung zu einem „richtigen“ Museum dauerte noch viele Jahre. Die Anzahl der Globen wuchs zwischen 1956 und 2023 von ursprünglich etwa 70 auf nunmehr etwa 820 Objekte. Ausgestellt werden zurzeit 200 Objekte aus dem Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek und 50 Leihgaben. Es handelt sich um das einzige Museum dieser Art weltweit.

Die Internationale Coronelli-Gesellschaft für Globenkunde wurde 1952 von Privatpersonen als Coronelli-Weltbund der Globusfreunde in Wien gegründet. Es handelt sich um einen Verein nach österreichischem Recht. Sie veranstaltet wissenschaftliche Symposien und publiziert das weltweit einzige globenspezifische Journal – in deutscher und in englischer Sprache.

Was macht Globen zu so bedeutenden kulturellen und historischen Artefakten? Wie spiegeln sie das historische, sozio-politische und wissenschaftliche Verständnis der Welt zu verschiedenen Zeiten der Geschichte wider?

Mag. Mokre: Globen sind als Weltenmodelle Zeugnisse historischer, geographischer und astronomischer Vorstellungen. Sie wurden in der Vergangenheit oft aufwändig künstlerisch und kunsthandwerklich gestaltet und gefertigt und sind so Objekte von wissenschafts- und kunsthistorischer Bedeutung. Das Studium ihrer Verwendung in Vergangenheit und Gegenwart eröffnet Bezüge zur Wissenschaftsgeschichte, die unterschiedlichen Herstellungsmethoden verweisen auf Aspekte der Technikgeschichte. Die historischen Kartenbilder machen sie zu Zeugnissen sozio-ökonomischer und politischer Aspekte unserer Geschichte.

Die Bedeutung der Globen geht jedoch über ihre Rolle als Modelle der Vorstellungen über die Gestalt der Erde und den Aufbau des Weltalls zur jeweiligen Entstehungszeit sowie ihre Funktion als wissenschaftliche Instrumente und Lehrmittel hinaus. Sie wurden in der Vergangenheit als Symbole eingesetzt, ihre Aufstellung in Repräsentationsräumen kirchlicher und weltlicher Autoritäten, ihre Präsenz in den Arbeitszimmern mehr oder weniger gelehrter Personen sowie als Einrichtungsgegenstände in den Wohnungen des Bürgertums ermöglichen, sie aus dem Blickwinkel der Kulturgeschichte zu betrachten.

Welche sind einige der bemerkenswertesten Stücke in Ihrer Sammlung?

Mag. Mokre: Diese Frage verlangt eine Differenzierung aus wissenschaftlicher und aus museumskundlicher Sicht. Wissenschaftlich betrachtet sind der Erdglobus von Gemma Frisius (ca. 1535), der Erdglobus mit chinesischer Beschriftung (Mitte des 17. Jahrhundert), der Himmelsglobus von Amanzio Moroncelli (1713) – das sind jeweils Leihgaben von Privatsammlern, sowie der Erd- und der Himmelsglobus von Gerard Mercator (1541 und 1551), der mechanische Himmelsglobus von Daniel Scheyrer (1621), zwei Globenpaare der Firma Blaeu (Mitte des 17. Jahrhunderts) sowie die beiden Globenpaare von Vincenzo Coronelli (letztes Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts) im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek von hervorragender Bedeutung. Aus museumskundlicher Sicht sind auch wesentlich weniger wertvolle Objekte, wie zum Beispiel der erste in Serie gefertigte Relief-Erdglobus (1820), der erste mit einem Patent versehene von innen beleuchtbare Erdglobus (1925), der erste Mondglobus, der einen Teil der Rückseite des Erdtrabanten zeigt (1961), von besonderer Bedeutung.

Vor welchen Herausforderungen steht die Konservierung historischer Globen derzeit?

Mag. Mokre: Die Objekte des Globenmuseums werden unter klimatischen Bedingungen aufbewahrt, die den Vorgaben der Fachrestauratoren entsprechen. Im Bereich der Sicherheit werden bei uns alle Regeln umgesetzt, die für die Aufbewahrung von wertvollem historischen Kulturgut gelten. Auch wenn wir Objekte als Leihgaben vergeben, müssen diese Bedingungen eingehalten werden. Heikel sind nur Manipulationen und Transporte. Probleme bei der Erhaltung historischer Globusobjekte sehe ich eher im Privatbesitz und im Handel. Diesbezüglich können wir nur auf Anfrage mit unserer Expertise unterstützen.

Wie authentifizieren Sie einen Globus, wenn Sie ihn für die Sammlung erwerben? Inwieweit kann Digitalisierung diese Identifikationsprozesse erleichtern?

Mag. Mokre: Ankaufsentscheidungen werden von mir ausschließlich nach einer Autopsie des originalen Objektes getroffen. Zur Vorbereitung eines Ankaufsprozesses werden alle verfügbaren analogen und digitalen Quellen herangezogen, die zugänglich sind. Digitale Faksimiles könnten helfen, bestimmte seltene Varianten zu identifizieren. Dabei wäre aber nur der Zugang zu einem digitalen Archiv anderer Institutionen (zum Beispiel der Bibliotheque Nationale de France) von Nutzen; die Globen in unserer Sammlung stehen ja als Originale für Vergleiche zur Verfügung.

Sind einige der im Globenmuseum ausgestellten Stücke bereits digitalisiert worden? Wie könnten digitale Globen im Bildungskontext eingesetzt werden?

Mag. Mokre: Im Globenmuseum wird seit 2005 der Erdglobus von Gerard Mercator aus dem Jahr 1541 als digitales Faksimile auf einem Touchscreen präsentiert und auf diese Weise dem wertvollen, unantastbaren Original als interaktives Objekt gegenübergestellt. Das digitale Modell kann am Monitor in alle Richtungen bewegt werden. Es ermöglicht einerseits eine genaue Betrachtung des Globuskartenbilds in allen Einzelheiten und in stufenloser Vergrößerung, andererseits kann es auf einer zweiten Ebene mit einem Gradnetz und zeitgenössischen Raumdaten, so zum Beispiel den Küstenlinien, dem Gewässernetz oder der Position wichtiger Städte, überlagert werden.

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Die Digitalisierung von Globen stellt auch uns immer wieder vor eine Herausforderung. Globen bestehen aus einem Körper und ihrer mechanischen Apparatur (Drehachse). Bei Fröbus gelingt es uns, die Globen vor der Digitalisierung fachgerecht und mit höchster Vorsicht auseinanderzubauen und damit ein Digitalisat zu schaffen, das sich auch im virtuellen Raum um die eigene Achse drehen lässt. Warum ist das besonders?

Mag. Mokre: Wesentlich für das Verständnis historischer Globen, vor allem jener Objekte, die vor dem 19. Jahrhundert angefertigt wurden, ist das Zusammenwirken von Kartenbild, Gestell und den Armaturen (graduierter Meridianring, graduierter Horizontring, graduierter Quadrant, Kompass sowie Stundenring und Stundenzeiger). Eine Reduktion auf das Kartenbild wird den Globen nicht gerecht, kann jedoch für bestimmte kartenhistorische Fragestellungen beziehungsweise Vermittlungsangebote von Nutzen sein. Selbstverständlich muss für die Erstellung von 3D-Modellen das Kartenbild vollständig digitalisiert sein, was in der Regel nur möglich ist, wenn die Kugel zum Zwecke der Digitalisierung aus dem Globusgestell genommen wird. Um den historischen Funktionen von Globusinstrumenten gerecht zu werden, sollte die Kugel nicht nur um die Achse, sondern auch mit dem Meridianring im Gestell drehbar sein, sofern dies beim Originalobjekt so vorgesehen war.

Gibt es Pläne oder Projekte für weitere Digitalisierungen oder innovative technologische Integration im Globenmuseum, über die Sie schon heute sprechen können?

Mag. Mokre: In der Österreichischen Nationalbibliothek arbeiten wir entsprechend einer langfristigen Vision und mittelfristiger Strategien. Diese beiden Grundpfeiler unseres Handels sind das Ergebnis intensiver Diskussionen abteilungsübergreifend zusammengestellter Arbeitsgruppen und letztendlich Entscheidungen der Geschäftsführung. Für die kommenden Jahre bis 2027 sind in der Österreichischen Nationalbibliothek zahlreiche wichtige Digitalisierungsprojekte geplant, jedoch nicht im Bereich des Globenmuseums. Unsere an mehreren Medienstationen abrufbaren digitalen Präsentationen erfreuen sich großer Beliebtheit, nicht nur des jüngeren Publikums. Zahlreiche positive Rückmeldungen belegen, dass ein Besuch des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek ein Erlebnis für alle, für individuelle Besucherinnen und Besucher wie auch für Gruppen ist.

Es gibt natürlich einige Wunschprojekte, auch im digitalen Bereich, über die ich in der Öffentlichkeit aber erst sprechen möchte, nachdem entsprechend der oben erwähnten Maximen eine Umsetzung beschlossen wurde.

Wie stellen Sie sich das Museum der Zukunft vor?

Mag. Mokre: Ich denke, dass zeitgemäße und zukünftige Museen auf zwei Schienen agieren werden und auf diese Weise unterschiedliche Funktionen erfüllen werden.

Museen, insbesondere solche, die historische technische Instrumente, wie zum Beispiel Globen, zum Thema haben, sollten sich vor allem auf die Objekte an sich konzentrieren, und deren Authentizität, wissenschaftliche Bedeutung und gesellschaftliche Relevanz vermitteln. Es ist wesentlich, das Publikum über klar vermittelbare Themenbereiche (Fragestellungen) in Beziehung zu den einzigartigen historischen Objekten zu bringen und auf diese Weise unter anderem auch ein Verständnis für die Notwendigkeit der Bewahrung des historischen Erbes zu wecken. In diesem Bereich ist ein zurückhaltender, didaktisch anspruchsvoller Einsatz von 3D-Modellen sinnvoll und zeitgemäß.

Parallel dazu ist eine mehrschichtige digitale Präsentation notwendig, die einerseits Marketingzwecken dient und die andererseits die Vermittlungsfunktionen der früher üblichen, teilweise sehr anspruchsvollen, Museumskataloge übernehmen kann. In diesem letztgenannten Bereich sehe ich vor allem sinnvolle Einsatzmöglichkeiten virtueller Vermittlungsformen, unter anderem digitale 3D-Modelle.

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit digitaler Vermittlung bietet der virtuelle Rundgang durch ein Museum mit interaktiven Möglichkeiten, Informationen zu ausgestellten Objekten aber auch zu räumlichen Gegebenheiten zu erlangen.

Die Frage der Barrierefreiheit spielt im Kulturbereich natürlich immer eine große Rolle. Kultur für alle zugänglich und erlebbar machen, unabhängig von ihrem Status, ihren finanziellen Möglichkeiten oder anderen Einschränkungen, ist ein unbestreitbar anstrebenswertes Ziel, dessen Erreichung jedoch auch von entsprechenden finanziellen Ressourcen abhängig ist. Traditionelle Museen lassen sich in der Regel nicht durch die Einnahmen, die von den Besucherinnen und Besuchern erwartet werden können, kostendeckend betreiben. Dasselbe Problem stellt sich bei den von mir oben angesprochenen begleitenden digitalen Präsentationen, auch diese werden nicht kostenfrei konzipiert, erstellt, betrieben und aktualisiert.

Wenn wir in die Zukunft blicken, welche Rolle sehen Sie für das Globenmuseum bei der Bewahrung und Vermittlung der kulturellen und historischen Bedeutung von Globen für künftige Generationen?

Mag. Mokre: Vielleicht fehlt mir in Bezug auf die Zukunft ein wenig die Phantasie; ich denke wir sind mit dem gegenwärtigen Zustand des Globenmuseums immer noch auf einem guten Weg. Meiner Meinung nach kommt es vor allem darauf an, dass anhand der ausgestellten Objekte Wissen vermittelt wird. Die Besucherinnen und Besucher des Globenmuseums sollen mit neu erworbenen Kenntnissen das Globenmuseum verlassen, nicht mit dem Eindruck, hunderte Globen gesehen zu haben. Was ist ein Himmelsglobus? Seit wann gibt es diesen Globustyp? Warum wurden Erdgloben ab dem frühen 16. Jahrhundert zu nützlichen und beliebten Objekten? Nur eine verständliche Vermittlung der historischen Gegebenheiten in Bezug auf die Entwicklung der Kenntnis von der Erdoberfläche und deren Erforschung kann die Bedeutung der auf den Erdgloben kartographisch dokumentierten Daten nachvollziehbar machen, und nur eine adäquate Erklärung der Funktionen der Armaturen in Bezug auf die Globuskugel ermöglicht ein Verständnis der Rolle der Erd- und Himmelsgloben als wissenschaftliche Instrumente in der Vergangenheit. Erst durch dieses Zusammenspiel wird der historischen Rolle und der Bedeutung von Globen entsprochen.

Wie können die digitalisierten 3D-Modelle der Globen Ihrer Meinung nach für Bildungs- oder Forschungszwecke genutzt werden?

Mag. Mokre: Im Bereich der wissenschaftlichen Forschung sehe ich kaum Einsatzmöglichkeiten für digitalisierte 3D-Modelle von Globen. Die Anzahl der Forscher, die sich mit Globen beschäftigen, ist weltweit sehr gering und die mit Kartenbildvergleichen zu lösenden Forschungsaufgaben sind überschaubar. Die Kartenbilder von Globen sind aufgrund des kleinen Maßstabs auch ohne Digitalisierung der Kugeln gut erkennbar und vergleichbar. Ein Vorteil digitalisierter 3D-Modelle könnte darin liegen, dass die zu vergleichenden Globusobjekte, sofern sie nicht zufällig am selben Ort aufbewahrt werden, kaum direkt miteinander verglichen werden können. Wenn keine gedruckten Globuskarten vorhanden sind (die sich für detaillierte Vergleiche ebenso eignen, wie digitalisierte 3D-Modelle), ermöglichen Digitalisate das direkte Vergleichen von Kartenbildern am Bildschirm. Das bedeutet, dass der Wert von 3D-Modellen für die Forschung vor allem im Bereich der Manuskriptgloben zu sehen ist, beziehungsweise in Bezug auf Seriengloben, die nur noch als Unikate erhalten geblieben sind.

Im Museumsbereich können digitalisierte 3D-Modelle – gezielt und zurückhaltend eingesetzt – in Ergänzung der analogen historischen Objekte wichtige didaktische Hilfsmittel darstellen und durch ihr modernes Erscheinungsbild auch jüngere Besuchergruppen ansprechen.

Im Bildungsbereich sind die Anwendungsmöglichkeiten von digitalisierten 3D-Modellen noch größer und wesentlich erfolgversprechender. Hier können sie für verschiedene Vermittlungsanliegen als geeignete didaktische Hilfsmittel dienen, wenn sie interaktiv verwendet werden. Für diesen Anwendungsbereich bedarf es natürlich auch einer intelligenten Fokussierung auf bestimmte wesentliche Fragestellungen.

Sehr geehrter Herr Mag. Mokre – vielen Dank für dieses umfang- und aufschlussreiche Interview.